Die neuen Gefahrenklassen sind da!
Die Europäische Kommission hat einen Entwurf zur Änderung des Anhangs I der CLP-Verordnung vorgelegt, in dem sie neue Gefahrenklassen für ED- und PBT- , vPvB- , PMT- und vPvM- Stoffe vorschlägt.
Hintergrund
Am 14. Oktober 2020 hat die Europäische Kommission (EU-Kommission) die Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit veröffentlicht (im Folgenden CSS = Chemical Strategy for sustainability). Die CSS ist Teil des übergeordneten Europäischen Grünen Deals, mit dem sich die Europäische Union das Ziel setzt, klimaneutral zu werden und gleichzeitig die europäische Wirtschaft modern, ressourceneffizient und wettbewerbsfähig zu gestalten. Eine der Verpflichtungen und Kernelement im grünen Deal ist die Nullverschmutzung in einer giftfreien Umwelt (toxic-free environment), die in der CSS aufgegriffen wird.
Zur Umsetzung der CSS-Maßnahmen stehen u.a. die Regelungen der CLP-Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 im Fokus. Dabei ist vor allem die Einführung neuer Gefahrenklassen, eine effiziente Gestaltung der Harmonisierung von Einstufungen, das Initiativrecht der EU-Kommission in diesem Verfahren, die Regulierung des Internethandels und die Konkretisierung der Regelungen zur Kennzeichnung geplant.
Die Einführung neuer Gefahrenklassen auf EU-Ebene ist als eine der bedeutendsten Maßnahmen im Rahmen der CLP-Revision anzusehen, denn bei der Überprüfung der EU-Regelungen in 2019 und 2020 wurde festgestellt, dass chemische Gefahren von bestimmten Stoffgruppen nicht oder nur teilweise ermittelt werden. Die zusätzlichen Gefahrenklassen betreffen die endokrinen Disruptoren (Stoffe, die den Hormonhaushalt beim Menschen als auch in der Umwelt schädigen) als auch PBT und vPvB-Stoffe (PBT= persistent (P), bioakkumulierbar (B) und toxisch (T) vPvB = sehr persistent (vP) und sehr bioakkumulierbar (vB)). Zudem sollen über die Entwicklung der PMT- und vPvM-Gefahrenklassen zukünftig solche Stoffe eingestuft werden, die sich zwar nicht in der Umwelt anreichern, jedoch so mobil in Böden sind, dass sie in das Trinkwasser gelangen können (PMT = persistent (P), mobil im Wasserkreislauf (M) und toxisch (T); vPvM = sehr persistent und sehr mobil im Wasserkreislauf).
Dabei ist festzuhalten, dass die EU-Kommission den Weg eingeschlagen hat, zunächst Änderungen in Bezug auf die Einführung neuer Gefahrenklassen in der CLP-Verordnung vorzunehmen und erst danach Änderungen auf GHS-Ebene im UN-Verfahren anzustreben.
Die delegierte Verordnung
Am 19.12.2022 hat die Europäische Kommission eine delegierte Verordnung angenommen, mit deren Hilfe mehrere neue Gefahrenklassen in die CLP-Verordnung eingeführt werden sollen. Die von der Europäischen Kommission im Frühjahr 2021 angekündigte Maßnahme wurde zwischenzeitlich von den anderen im Rahmen der CLP-Revision geplanten Vorhaben, wie z.B. das Initiativrecht der EU-Kommission, die Regulierung des Internethandels und die Konkretisierung der Regelungen zur Kennzeichnung getrennt, und wird daher vor diesen wirksam werden.
Die delegierte Verordnung unterlag bis zum 19.02.2023 einer Prüfung durch das Europäische Parlament und durch den Europäischen Rat. Im Rahmen dieser Prüfung wurden keine Einwände erhoben. Die delegierte Verordnung tritt daher voraussichtlich im zweiten Quartal 2023 in Kraft.
Die neuen Gefahrenklassen
Die neu eingeführten Gefahrenklassen sind:
- Endokrine Disruption mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit
- Endokrine Disruption mit Wirkung auf die Umwelt
- Persistente, bioakkumulierbare und toxische Eigenschaften oder sehr persistente und sehr bioakkumulierbare Eigenschaften
- Persistente, mobile und toxische Eigenschaften oder sehr persistente, sehr mobile Eigenschaften
Die neuen Gefahrenklassen orientieren sich in den in ihnen enthaltenen Kriterien stark an bereits etablierten Kriterien aus der Verordnung (EU) 2017/2100, welche die Kriterien zur Bewertung von endokrinen Eigenschaften im Rahmen der Wirkstoffgenehmigung für Pflanzenschutzmittel und Biozidprodukte festlegt als auch Anhang XIII der REACH-Verordnung, der die Kriterien für die Bewertung von PBTund vPvB-Stoffen enthält.
Weiterhin werden zu endokrinen Disruptoren mit Wirkung auf die menschliche Gesundheit als auch auf die Umwelt jeweils zwei Kategorien, analog zu den Kategorien in den Gefahrenklassen zur Kanzerogenität, Mutagenität und ,Reproduktionstoxizität vorgegeben. Damit tritt neben die aus anderen europäischen Verfahren bekannte ED-Bewertung nun auch eine Verdachtskategorie, um mögliche endokrin wirksame Stoffe zu identifizieren. Die Gefahrenklassen zu persistenten Stoffen sind jeweils in Differenzierungen unterteilt, sodass Stoffe zum Beispiel gleichzeitig sowohl als PBT als auch als vPvB, identifiziert werden können.
Bei den neuen Klassen PMT/vPvM beziehen sich die M/vM-Kriterien insbesondere auf den log Koc -Wert. Der Koc-Wert ist der Verteilungskoeffizient von organischem Kohlenstoff und Wasser und spiegelt die Fähigkeit eines Stoffes wider, an der organischen Fraktion von festen Umweltkompartimenten wie Boden, Schlamm und Sediment zu adsorbieren. Damit ist das Potenzial der Stoffe, in das Grundwasser zu gelangen, abgebildet.
Anwendungsfrist
Grundsätzlich können die neuen Gefahrenklassen ab dem Tag des Inkrafttretens der delegierten Verordnung für die Einstufung von Stoffen und Gemischen angewendet werden. Für Stoffe hat die Europäische Kommission allerdings einen Übergangszeitraum von zwei Jahren und für Gemische von drei Jahren vorgesehen. Zudem sind weitere Übergangsregelungen für bereits in Verkehr gebrachte Stoffe und Gemische vorgesehen.
Piktogramme
Piktogramme für diese Gefahrenklassen sind in der delegierten Verordnung nicht enthalten.